Hektiker, Hipster und Großstadtbrötchen - Erlebnisse an der Bäckertheke

Ich wohne in Berlin-Neukölln.

Kein Mitleid bitte. Viele sehen jetzt Straßen mit Altbauten vor sich, verbunden mit bunt kulturell gefüllten Menschenmengen. Nun kommt es noch schlimmer, ich wohne unweit der Gropiusstadt, diesem ewig verankerten Baudenkmal eines Wohnungbauwahns, von dem man sich anscheinend versprach den amerikanischen Vorbildern der Wolkenkratzern im fernen "Amerika", wie meine Großeltern die USA noch nannten, näher zu kommen. Anders kann ich mir einen Bau wie das IDEAL-Haus nicht erklären. Aber ich schweife ab...

Eins der großen regionalen Probleme ist für mich, schmackhafte und frühstückswürdige Brötchen zu bekommen. Ich habe 2 Tage am Wochenende um mein Frühstück zu genießen, den Sonnabend und den Sonntag. An diesen Tagen will ich eine reichhaltig belegte Brötchenhälfte genießen. Ich will, dass ich nicht nur den Wurstbelag schmecke, sondern auch das Brötchen sich geschmacklich frech hervortut und mich erfreut. Und damit meine ich nicht diese industriell durchgeformten Schrippen-Rohlinge, die wahrscheinlich aus China importiert werden, weil es so ja viel billiger ist. Die globalisierte Schrippe quasi, im Internet bestellt und per Frachtcontainerschiff nach Deutschland verschifft.

Einen Bäcker gibt es jedoch , der diese Mitte zwischen industrialisierter Schrippe und individueller Form und Geschmack eben besser gefunden hat. Da nicht nur ich diesen Bäcker in Berlin-Rudow nutze, sondern auch viele andere, gibt mir diese Tatsache die Gelegenheitganz neue Gesellschaftsbeobachtungen vorzunehmen.

Letzten Sonntag fuhr ich auf den großzügigen Parkplatz, denn dieser Bäcker ist an einen Supermarkt angeschlossen. Da ich korrekt erzogen wurde, parke ich natürlich auf einem vorschriftsmäßigen, korrekt beschilderten Parkplatz und meide tunlichst den Familienparkplatz weil ich eben NICHT mit meiner Familie, sondern allein unterwegs bin. Hinter mir taucht eine silberne C-Klasse auf, schnell biegt sie auf den Parkplatz ein, rauscht an mir vorbei und hält genau vor der Tür zum Bäcker. Naja die Nutzung von Parkplätzen wird auch überbewertet. Verlassen tut die C-Klasse ein betagter Hipster, vielleicht Ende 40 mit coolem Totenkopf-Shirt und Trilby-Hütchen in blau-weiß. Komisches Paar dieser zwangsvercoolte Hipster-Papi und dieser Teutonen-Familien-Panzer mit Stern als Fahrradfahrer-Abschußzielgerät vorne dran.Mit wippendem Gang gehts in den Bäcker , ich hinterher. Kaum hat dieser Aushilfs-Jugendliche den Bäcker betreten ereilt ihn eine lethargische Ruhe, er geht in den Smooth-Modus und redet so wie es sein Aussehen ihm gebietet. Er spricht langsam mit sonorer Stimme, denn er will ja unterstreichen wie cool er die Lage unter Kontrolle hat.

Und er kontrolliert, und zwar auf Teufel komm raus, und zwar die Einkaufszeiten der Menschen in der Warteschlange hinter ihm. Fragen hat der Typ én masse, z.B. ob der Dinkel im Brötchen auch fairtrade ist, oder ob das 17-Korn-Brötchen auch für einen Veganer okay wäre? Einige in der Warteschlange schauen gen Himmel und verdrehen die Augen. Als er auch noch fragt ob das verwendete Triebmittel des Teiges Allergien auslösen könne hört man ein bewußt lautes Schnaufen aus der Schlange. Der Hipster dreht sich zur Schlange um, denn er weiß nicht wer geschnauft hat: "Tut mir ja leid, MIR ist so etwas wichtig!", sagt er mit überheblichem Lehrerton und einseitig hochgezogener Braue. "Mir is meen Frühstück och wichtig, und det hätte ohne Sie schon längst bejonnen!", kommentiert ein bestimmt 70jähriger aus der Schlange-ich könnte ihn umarmen und küssen für diese Fußnote.

Hipster-Hotte, wie ich den Mann in meinem Kopf mittlerweile nenne hat es endlich geschafft und rauscht aus dem Laden an der Schlange vorbei. "Schönen Sonntag!", ist seine Abschiedsformel. "Später als sonst , aber danke.", legt der alte Mann nochmal nach, wie gesagt ´n dicken Schmatzer auf die Wange könnte ich ihm verpassen, aber das würde den armen alten Menschen nur irritieren oder verängstigen nach seiner ersten Hipster-Konfrontation.

Gut unterhalten, mit einem Lächeln im Gesicht und mit meiner Standard-Brötchen-Ausstattung, 4 Schrippen plus ein Splitter- und ein Rosinenbrötchen, unter dem Arm verlasse ich die Bäckerei und sehe noch wie die C-Klasse mit einem Alarmstart vom Parkplatz rauscht. Der Hipster wird nun die verlorene Recherchezeit herausfahren und dann am Frühstückstisch, wo alle Hipsterkinder in meiner Phantasie Malte, Helge oder Ludwiga heißen und die gleichen Hüte tragen wie Papa, von seinem Kampf gegen die einfachen Menschen erzählen.

Erfolg ist eben wovon man erzählt.

MG 08/2013

Beliebte Posts aus diesem Blog

Brot und Spiele oder warum Fake im TV so gut ankommt

Schaltet endlich Twitter ab! (1) Die Einführung

Pedelecs, Freygeist und die von Whingwheels