Der gelebte Alltag ist die wa(h)re Philosophie

Ich fahre im öffentlichen Nahverkehr, und das mit voller Absicht. Allerdings nur im Herbst und Winter, denn im milderen Temperaturbereich des Jahres genieße ich die Einsamkeit im Inneren eines Motorradhelmes. Diese abgeschlossene Welt, dieses herrliche motorisierte Zweirad und dazu passendes Wetter, dass ist die Symphonie der Eindrücke die ich genießen kann.

Aber kommen wir zurück zu den öffentlichen Beförderungsmitteln. Also ganz genau genommen sind es gewerblich betriebene und gefüllte Menschencontainer mit dem Zweck der (Sammel-)Beförderung. Während eines Umstiegs verschlägt es mich an den Hermannplatz in Neukölln an der Grenze zu Kreuzberg. Oberirdisch auf dem Platz finden gern Treffen der Vereinigung der Gerstensaftkonsumenten statt. Und ich stelle fest: Gerstensaftkonsumenten sind auch oft Hundeliebhaber, denn viele haben zu diesen Meetings einen möglichst großen Hund dabei. Aber ich befinde mich ja unterhalb dieser Gruppe im Bahnhof der U-Bahn. Linie 7, über die keiner ein Musical geschrieben hat, warum eigentlich nicht?  Die "Linie 1" gab wohl mehr her damals.

Zwei äußerst interessante Vertreter der hier vertretenen Spezies Mensch kommen die Treppe (meine persönliche tägliche Showtreppe) zur Linie 7 herunter. Die zwei befinden sich derzeit in einer schon mehrere Jahre andauernden Findungsphase "zwischen zwei Jobs". Aber untätig sind die zwei keines falls, denn sie nehmen gewissenhaft die täglichen und zehrenden Biertests auf einer Bank auf dem Hermannplatz wahr. Beide mit einer Bierflasche in der Hand, Wegzehrung und fortwährendes Training muß sein, schreiten sie die Treppe herab ohne zu vergessen zu erwähnen welche Frechheit es doch sei, dass die Rolltreppe mal wieder nicht funktioniert. Die Kernauassage lautet: "Aber Preise erhöhen können ´se!". Die beiden, deren Zahnausstattung euphemistisch als spärlich bezeichnet werden kann, machen ihrer Wut, auf die Gesellschaft im allgemeinen, und die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) im besonderen, richtig Luft.

Die nicht funktionierende Rolltreppe wurde mit einem Ziehharmonikazaun vor dem widerrechtlichen Betreten geschützt, was jedoch einen weiteren derzeit nicht Erwerbstätigen nicht davon abhält den Zaun zur Seite zu schieben und die Menschenmassen auf der leeren Rolltreppe zu umgehen.Glück für ihn, die Rolltreppe war nicht vollständig entriegelt, denn dann wäre der Mann beim Betreten der Rolltreppe in schneller Fahrt an einen Ort befördert worden wo noch niemand vor ihm war. Hat der Kollege aber Glück gehabt....

Meine U-Bahn rollt ein und im Augenwinkel sehe ich wie die Bierflasche von einem der beiden Arbeitssuchenden zielsicher die Lücke zwischen den fehlenden Vorderzähnen findet und ein tiefer Schluck Bier sein Gemüt fürs erste kühlt. Die Kopfhörer wieder aufsetzend besteige ich die U-Bahn.....

MG 11/2013

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