Wenn der mit dem Headset zweimal schreit....

Wenn ich eine tägliche Herausforderung habe, dann ist es die tägliche Arbeitsfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Und mit den darin gefangenen Menschen. Wenn die U-Bahn im dunklen Schlauch des U-Bahn-Tunnels verschwindet, vertreiben sich viele ihre Zeit mit ihren Handy oder Tablets. Dann sitzt eine ganze Bahn mit gesenktem Kopf in Trauerhaltung herum und Finger wischen auf kleinen Glasscheiben hin und her um virtuelle Farmen oder Firmen zu bewirtschaften oder Korrespondenz zu betreiben.

Vor mir sitzt ein kräftiger Mann im Anzug und neben demselben steht ein Koffer-Trolley. Er greift zum Smartphone, wischt ein wenig hin und her um am Ende mit einem festen Fingertipp eine Aktion auszulösen. Als er beginnt zu sprechen weiß ich, dass er mit dem Fingertipp einen Anruf ausgelöst hat. Er telefoniert über sein Headset und tut das was alle Headset-Nutzer tun, er lehnt sich zurück, stützt sich auf ein Knie ab, drückt seinen Rücken durch und schaut leicht schräg nach oben, um zum Ausdruck zu bringen wie entspannt er gleich telefonieren wird. Auf jeden Fall fühlt er sich sehr "busy" und "reactive", wenn ich sein Gespräch mal so deuten darf.

Nun, wo das Gespräch schon ein paar Sätze alt ist, er sich im Handy-Dialog mehrfach freudig geäußert hat dass er ja jetzt stellvertretender Projektleiter sei, lehnt er sich gespielt entspannt zurück und sein Blick kreist herum um zu taxieren wieviele diesen bisherigen Dialog und die Haltungsänderung denn mitbekommen haben. Erwartet er ein "LIKE" oder was? Soll ich mal den Daumen zeigen? Mein ganz persönliches Live-Posting übermitteln? Responsen? Würde es ihn aufheitern?

Aber nun kommt er so richtig in Fahrt, er spricht laut , ja, er schreit fast in sein Headset und ich frage mich ob es an den durch die Kopfhörer verschlossenen Ohren liegt und ihm somit die Lautstärkensteuerung schwerfällt oder ob es seine Art ist so laut zu sein. Zwei Sätze später bekomme ich meine Antwort und denke, nachdem er nun sein Gegenüber ständig "Alter" nennt und ihm verspricht doch mal vorbeizukommen um ihm "Rechts-Links-Kombis" zu verpassen, dass es seine Art ist so laut zu sein. In meinem Kopf feuere ich ihn an: "Los Junge, komm zum Finale! Gib noch mal alles!", denke ich still in mich hinein.

Und der Gute will mich nicht enttäuschen denn er feuert eine Salve nach der anderen ins Mikro, Kakophonien von abgestandenen Witzen und Sprüchen gefolgt von weiteren "Alter"-Zurufen ans Gegenüber und dem furiosen Finale. Sein Gegenüber hat erwähnt das er wohl nach Bielefeld müsse, woraufhin ihm Headset-Toni sagt: "Bielefeld? Ich dachte Bielefeld gibt es nicht...". Nu isses passiert, denke ich, ICH, ja ich habe ihn gefunden, den letzten Menschen der die Bielefeld-Verschwörung als Witz verwendet und augenscheinlich auch noch gut findet.

Da ich bei der nächsten Station aussteigen muß, bemühe ich mich noch ein Resumé aus dieser Beobachtung zu ziehen, und ich kann nur eine finden: Wenn ich Gespräche anhören muß, die mir inhaltlich nichts bringen, dann werden diese für mich zu Dialogmüll und Lärmbelästigung. Da lobe ich mir jeden der mit riesigem Kopfhörer neben mir sitzt und einfach nur den Mund hält.

MG, 11/2013

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